Pilotprojekt «Kita Inklusiv»

07.07.2020

Kitas fehlen teils Zeit und Geld, Beeinträchtigte zu betreuen; Eltern finden nicht immer Platz für ihren Nachwuchs. Ein Projekt will das ändern.

 
 

Auch Kinder mit Behinderung sollen Platz in der Kita haben. Verschiedenheit ist normal – das sollen in der Solothurner Kita Tubeschlag  schon Kinder lernen. Dazu wird das Pilotprojekt «Kita Inklusiv» durchgeführt; welches Kindertagesstätten bei der Betreuung von Kindern mit Beeinträchtigung unterstützt. Jetzt wird das Projekt noch ausgeweitet; sofern auch Geldgeber dabei mitmachen.

Kita für alle – auch Kinder mit Behinderung

Verschiedenheit ist normal - dies sollen in der Kita Tubeschlag schon Kinder lernen. © Simon von Gunten
Verschiedenheit ist normal - dies sollen in der Kita Tubeschlag schon Kinder lernen. © Simon von Gunten

Kitas fehlen teils Zeit und Geld, Beeinträchtigte zu betreuen; Eltern finden nicht immer Platz für ihren Nachwuchs. Ein Projekt will das ändern. Täglich besuchen über 20 Kinder die Solothurner Kindertagesstätte Tubeschlag. An diesem Tag rennen sie draussen über den Spielplatz, sitzen im Garten im Kreis, klatschen in die Hände und singen Lieder. Was nicht auffällt: In die Kita gehen auch Kinder mit Beeinträchtigungen. Dass auch sie einen Platz in einer Kita haben, ist im Kanton nicht selbstverständlich. Davon berichtet Karl Diethelm, Leiter des heilpädagogischen Dienstes am Bachtelen, das in der Region Solothurn-Grenchen Kinder mit speziellen Bedürfnissen und Behinderungen betreut. Auch Kinder im Vorschulalter, die in eine Kita gehen. «Es kommt vor, dass Betreuungsverhältnisse abgebrochen werden, weil es nicht geht. Oder dass Eltern für ihr Kind gar nicht erst einen Platz in der Kita erhalten.»

Denn: Zusätzliche Betreuung kostet Kitas, die meist ohnehin schon unter Druck stehen, Zeit und damit Geld. Und: Ein breit organisiertes Angebot für Kinder mit Beeinträchtigung gibt es im Kanton nicht. Zumindest bis jetzt. Ein Projekt soll das ändern.

Zusätzliche Betreuung – Mehraufwand für Kitas

«Kita Inklusiv» nennt sich das Vorhaben. Die Idee dafür kommt vom Netz 4F, einer gemeinnützigen Oltner Organisation, welche Kitas unterstützt und führt. Getragen wird die Organisation von der Stiftung 3FO, ebenfalls mit Sitz in Olten. So kam vor rund einem Jahr in Zusammenarbeit mit dem heilpädagogischen Dienst des Bachtelen der Stein ins Rollen. Umgesetzt wurde dann ein Pilotprojekt in der Kita Tubeschlag, eine der Kitas der Stiftung 3FO.

Wie das Ganze funktioniert, erklärten die Verantwortlichen in der Kita: Das Team von Diethelm unterstützte die Kita im vergangenen Jahr bei der Betreuung von drei Kindern mit Beeinträchtigungen. Die Betreuerinnen und Betreuer der Kita wurden darin gecoacht, wie sie mit Kindern, die Unterstützung, vielleicht sogar eine 1:1 Betreuung brauchen, richtig arbeiten.


Franziska Roth (SP), Burkhard Behr (3FO), Karl Diethelm (Bachtelen) und Janine Bütikofer (Kita Tubeschlag). © Hanspeter Bärtschi
Franziska Roth (SP), Burkhard Behr (3FO), Karl Diethelm (Bachtelen) und Janine Bütikofer (Kita Tubeschlag). © Hanspeter Bärtschi

Das Fazit fällt vorwiegend positiv aus, wie die Kita-Leiterinn Janine Bütikofer erzählt. Eltern berichteten davon, dass sie es schätzten, dass ihr Nachwuchs zusätzlich lernt, auf andere Rücksicht zu nehmen und Kinder mit Beeinträchtigungen gleich zu behandeln wie alle anderen auch. Wovon Bütikofer aber auch berichtet: «Allen gerecht zu werden – das ist und bleibt eine Herausforderung.» Im Fall der Kita Tubeschlag habe man zwar keine zusätzlichen Personen anstellen müssen. Doch: Coaching durch den heilpädagogischen Dienst, mehr Zeit für den Austausch mit den Expertinnen und Experten, allenfalls sogar zusätzliche Mitarbeitende vor Ort – all das kostet. Für Eltern wäre dieser Mehrbetrag nicht zahlbar, sagt die Kitaleiterin. Die Stiftung 3FO hat das Pilotprojekt in Solothurn mit 42000 Franken finanziert.

Damit das Ganze nun aber weitergeführt, in einem ersten Schritt auf 10 bis 15 weitere Kinder und Kitas im ganzen Kanton ausgeweitet werden kann, braucht es zusätzliche Gelder.

SP, FDP und CVP wollen Projekt vorantreiben

Wie Diethelm erklärt, hat das Bachtelen einen Leistungsauftrag vom Kanton. Dieser beinhaltet die Aufgaben, welche die Institution zu erfüllen hat – und für welche das Bachtelen Gelder erhält. Laut Diethelm soll dieser Auftrag mit dem Projekt Kita Inklusiv erweitert werden. Und nach dem Bachtelen sollen weitere Institutionen, auch im östlichen Kantonsteil, so vorgehen – damit am Schluss Kitas im ganzen Kanton Unterstützung beantragen können. Für das Vorhaben braucht es auch politischen Rückhalt. Dieser trat in Form von SP-Nationalrätin Franziska Roth, FDP-Kantonsrat Markus Spielmann und CVP-Kantonsrat Fabian Gloor auf. Gerade die Krise habe gezeigt, dass Kinderbetreuung systemrelevant sei – «es steht dem Kanton gut an, dieses Projekt zu fördern», führte Spielmann aus. Die 100 000 bis 160 000 Franken, die das Projekt jährlich kosten würde, seien bezahlbar. Im zweiten Halbjahr 2020 wolle man das Ganze politisch vorantreiben, auch den Verband der Solothurner Einwohnergemeinden ins Boot holen.

Laut Schätzungen der Projektleitenden gibt es im Kanton bis zu 60 Kinder, die vom Angebot «Kita Inklusiv» profitieren könnten. Am Schluss soll die Inklusion aber nicht nur beeinträchtigten Kindern und deren Familien zugutekommen, sondern der ganzen Gesellschaft. Auch Akzeptanz und Toleranz etwa würden so gefördert – von klein auf. So, dass es ganz normal ist, dass es Menschen mit Beeinträchtigung gibt. Und das auch gar nicht weiter auffällt – wie bei den spielenden Kindern im Garten der Kita Tubeschlag.

Text: Noëlle Karpf


Franziska Roth

«Das führt zu einer freieren Gesellschaft»

Nachgefragt bei Nationalrätin Franziska Roth, Mitglied des Patronatskomitees von «Kita Inklusiv» und seit Mitte Juni Präsidentin des Verbands Kinderbetreuung Schweiz (kibesuisse).

Sie unterstützen «Kita Inklusiv». Warum?  Franziska Roth: Die Krise hat es gezeigt: Kinderbetreuung ist systemrelevant. Und alle im System müssen Zugang dazu haben. Alle Eltern, alle Kinder – auch diejenigen mit Beeinträchtigung – haben ein Recht auf gute Betreuung. Was mich zudem umtreibt: Die Schweiz hat die Behindertenrechtskonvention ratifiziert, ebenso die Kinderrechtskonvention. Es ist der Schweiz nicht würdig, sich in Sachen Gleichberechtigung gut darzustellen, diese dann aber nicht umzusetzen.

In anderen Kantonen gibt es schon Projekte mit gleichem Ziel. Hinkt Solothurn nach?  Es gibt sicher Kantone, die schon weiter sind. Auf welchem Platz Solothurn liegt, kann ich nicht genau sagen. Dass das Projekt jetzt aber umgesetzt wird, zeigt, dass es auch im Kanton Solothurn vorwärts geht. 

Sie sind überzeugt, dass das Projekt Erfolg hat? Politisch sind wir im Patronatskomitee mit den drei grossen Parteien SP, FDP und CVP gut vertreten. Mit Markus Spielmann und Fabian Gloor sind zwei gestandene Politiker dabei, welche die Botschaft weitertragen können. Ja, ich glaube, das kommt gut. Und: Ich bin überzeugt, dass das Vorhaben auch von Eltern nicht bestritten wird.

Wieso? Alle Eltern wollen, dass es ihren Kindern gut geht. Auch in der Kita. Dass «normale Kinder» darunter leiden, wenn auch Kinder mit Beeinträchtigungen in derselben Klasse oder eben Kita sind, stimmt einfach nicht. Es profitieren alle, wenn unsere künftigen Erwachsenen schon früh lernen, dass Verschiedenheit normal ist. Wenn wir alle Kinder von Anfang an richtig einbeziehen und fördern, haben wir am Schluss eine freiere Gesellschaft. (nka)

Links/Infos

Bericht als PDF
Solothurner Zeitung
(PDF, 2 Seiten, 0.5 MB)

Online-Bericht
Oltner Tagblatt

Radiobetrag
Regionaljournal Aargau-Solothurn, Radio SRF1

Website Projekt Kita Inklusiv
www.kitainklusiv.ch

 
 

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